Berufsunfähigkeit melden – Wie läuft die Leistungsprüfung?
Was ist zu tun, wenn Berufsunfähigkeit eintritt? Wie verläuft die Leistungsprüfung und was genau prüft der BU-Versicherer? Hier erfährst Du, was Du bei Beantragung von BU-Leistungen unbedingt wissen musst!
Ein Gastbeitrag von Susanne Aydinlar (LL.M. Versicherungsrecht) und Katrin Link, Rechtsanwältinnen und Fachanwältinnen für Versicherungsrecht, BU-Hilfe.de – Experten bei Berufsunfähigkeit
Bin ich (schon) berufsunfähig?
Kleiner Spoiler vorab: Berufsunfähig ist man eher als man denkt! Die meisten Berufsunfähigkeitsversicherer erbringen 100% der versicherten Leistung bereits ab 50%iger Berufsunfähigkeit und sechsmonatiger Unfähigkeit zur Berufsausübung. Nach den üblichen Versicherungsbedingungen liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn Du
- Deinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war,
- infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind,
- voraussichtlich oder tatsächlich mindestens sechs Monate nicht mehr zu mindestens 50 Prozent ausüben kannst, und
- Du auch keine andere Tätigkeit ausübst, die Deiner bisherigen Lebensstellung entspricht (sogenannte konkrete Verweisung).
Es kommt also weder darauf an, ob bzw. inwieweit Du eine andere Tätigkeit verrichten könntest, noch darauf, ob Du „auf Dauer“ außerstande bist, Deinem Beruf nachzugehen – es reichen bereits 6 Monate.
Berufsunfähig – Was nun?
Bist Du danach berufsunfähig, solltest Du Deine Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Rente / Beitragsfreistellung) keinesfalls überstürzt geltend machen. Versicherungsleistungen wegen Berufsunfähigkeit sind in aller Regel mit fünf- bis sechsstelligen Zahlungsbeträgen verbunden, weshalb der Berufsunfähigkeitsversicherer ganz genau prüft, ob und in welchem Umfang er leistungspflichtig ist. Dazu ist das Recht der BU-Versicherung äußerst komplex. Im Antragsverfahren kommt es deshalb schnell zu Fehlern, die sich – wenn überhaupt – nur mühsam korrigieren lassen und oft mit gravierenden Nachteilen für den Versicherungsnehmer – u.U. sogar mit dem Verlust seiner Ansprüche – verbunden sind. Berufsunfähigen Versicherten raten wir deshalb ausnahmslos, sich von Anfang an professionell unterstützen zu lassen.
Schritt 1: Berufsunfähigkeit anzeigen
Was aber ist nun zu tun, wenn Du Versicherungsleistungen beantragen willst?
Wann melde ich den Leistungsfall?
Grundsätzlich sollte der Leistungsfall möglichst zeitnah gemeldet werden. Nicht selten enthalten die Versicherungsbedingungen sogenannte Ausschlussklauseln, wonach Du BU-Leistungen erst ab dem Monat der Antragstellung erhältst, wenn Du die Berufsunfähigkeit verspätet angezeigt hast. Hierdurch können Dir schnell Beträge in fünfstelliger Höhe entgehen. Außerdem kann die Beurteilung Deines beruflichen Leistungsvermögens schwierig sein, wenn der Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit länger zurückliegt. Aber Achtung: Es gibt gewichtige Ausnahmefälle, die es rechtfertigen, den Versicherungsfall erst später zu melden! Es muss deshalb immer anhand des Einzelfalls geprüft und entschieden werden, wann Berufsunfähigkeit angezeigt werden soll.
Wie melde ich den Leistungsfall?
Den Berufsunfähigkeitseintritt zeigst Du formlos gegenüber Deinem Berufsunfähigkeitsversicherer an – am besten mit einfachem Schreiben per Post oder mit einer E-Mail. Unterlagen musst du noch nicht vorlegen.
Schritt 2: Die Leistungsprüfung
Nach Anzeige Deiner Berufsunfähigkeit beginnt der Versicherer zu prüfen, ob bzw. in welchem Umfang er leistungspflichtig ist.
Was prüft der Versicherer?
Die Prüfung des Versicherers umfasst in der Regel
1. die Angaben, die Du bei Vertragsabschluss im Versicherungsantrag gemacht hast.
Insbesondere bei jüngeren Verträgen (solche, die nicht älter als 10 Jahre alt sind) wird geprüft, ob Deine Angaben im Versicherungsantrag vollständig und richtig gewesen sind. Unzutreffende Angaben können den Versicherer dazu berechtigen, die Leistung abzulehnen und sich durch Anfechtung, Rücktritt oder Kündigung von der Versicherung zu lösen oder den Vertrag (rückwirkend) anzupassen. Hast Du die Versicherung mit Hilfe eines spezialisierten BU-Maklers wie buXperts abgeschlossen und durch sorgfältige Aufarbeitung Deiner Krankengeschichte die zutreffende Beantwortung aller Gesundheitsfragen sichergestellt, hast Du an dieser Stelle nichts zu befürchten. In nicht wenigen Fällen kommt es hier jedoch bereits zu Komplikationen und bösen Überraschungen. Ein Gang zum Fachanwalt ist dann unumgänglich.
2. das Tätigkeitsbild.
Weiterer wesentlicher Bestandteil der Leistungsanmeldung ist die Darstellung der beruflichen Tätigkeit, die Du zuletzt in gesunden Tagen ausgeübt hast. Sie ist Grundlage für die spätere (medizinische) Beurteilung Deines beruflichen (Rest-) Leistungsvermögens durch einen medizinischen Berater des Versicherers bzw. Gutachter. Kannst Du Dich beispielsweise aufgrund einer Erkrankung nur mit einem Rollstuhl fortbewegen, wirst Du nicht mehr als Dachdecker oder Tierärztin arbeiten können, womöglich aber noch als Büroangestellte. Die Versicherung muss deshalb eine konkrete Vorstellung davon haben, mit welchen Anforderungen an Deine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit Dein Beruf verbunden ist.
3. den medizinischen Sachverhalt.
Schließlich prüft der Versicherer den sogenannten medizinischen Sachverhalt, also Deine Beschwerden und deren Auswirkungen auf Dein berufliches Leistungsvermögen.
Wie prüft der Versicherer?
Der BU-LEISTUNGSANTRAG
Um die notwendigen Erhebungen zu den vorstehend genannten Bereichen für die Leistungsfallprüfung anstellen zu können, erhältst Du nach Anzeige Deiner Berufsunfähigkeit ein Antragsformular mit umfangreichen Fragen insbesondere zu Deinem Beruf und Deinen wirtschaftlichen Verhältnissen, zu Deinen Beschwerden bzw. Erkrankungen sowie zu (avisierten) Behandlungen. Außerdem wirst Du aufgefordert werden, eine Reihe von Unterlagen vorzulegen.
Zur Prüfung des Leistungsanspruchs benötigt der Versicherer vor allem
- eine Darstellung der Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit,
- ausführliche Berichte der Ärzte, die Dich gegenwärtig behandeln bzw. behandelt oder untersucht haben, über Ursache, Beginn, Art, Verlauf und die voraussichtliche Dauer des Leidens sowie über den Grad der
Berufsunfähigkeit, - eine Beschreibung des zuletzt ausgeübten Berufs, Deine
Stellung und Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit sowie über
danach eingetretene Veränderungen, - Angaben über Einkommen aus beruflicher Tätigkeit, sowie
- eine Aufstellung
- der Ärzte, Krankenhäuser, Krankenanstalten, Pflegeeinrichtungen oder Pflegepersonen, bei denen Du in Behandlung warst, bist oder – sofern bekannt – sein wirst,
- der Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträger oder sonstiger Versorgungsträger, bei denen Du ebenfalls Leistungen wegen Berufsunfähigkeit geltend machen könntest, sowie
- über Deinen derzeitigen Arbeitgeber und frühere Arbeitgeber.
Ein Hinweis hierzu:
Die „Darstellung des zuletzt ausgeübten Berufs“ setzt eine konkrete Arbeitsbeschreibung voraus – beispielsweise in Form eines Stundenplans, mit dessen Hilfe die anfallenden Einzeltätigkeiten ihrer Art, ihres Umfanges und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar gemacht werden. In der Regel enthalten die Antragsformulare entsprechende Tabellen, in die die mit der beruflichen Tätigkeit verbundenen Einzeltätigkeiten einzutragen sind. Die bloße Angabe des Berufstyps (z.B. „Zahnarzthelferin“, „Geschäftsführer“ oder „Koch“) reicht ebenso wenig wie die Angabe von Schlagworten (z.B. „Tätigkeit am Tresen der Zahnarztpraxis“, „Personalgespräche“ oder „Zubereitung eines 3-Gänge-Menüs“).
Weitere Auskünfte – auch von Dritten
Nach Einreichung des Antragsformulars und der darin angeforderten Unterlagen verlangt der Versicherer in der Regel weitere Informationen und Unterlagen – entweder von dem Versicherten selbst oder aber von Dritten. Zu ihnen zählen vor allem dessen Behandler, aber auch Behörden (z.B. das Versorgungsamt oder die Deutsche Rentenversicherung) und andere Versicherer (z.B. die Krankenversicherung oder andere BU-Versicherungen).
Einwilligung in die Datenerhebung
Daten bei Dritten darf der Versicherer allerdings nur unter sehr strengen (und nicht immer beachteten) – datenschutzrechtlichen und versicherungsrechtlichen – Voraussetzungen erheben. Unter anderem hat er Hinweise zu erteilen und die Einwilligung des Versicherten zur Datenerhebung und -verarbeitung einzuholen.
Begutachtung
Meint der Versicherer, die Berufsunfähigkeit könne anhand der eingeholten Unterlagen – insbesondere der vorgelegten Befundberichte – nicht beurteilt werden, kann er auf eigene Kosten die Begutachtung des beruflichen (Rest-) Leistungsvermögens des Versicherten veranlassen. Besonders häufig werden Versicherte begutachtet, wenn sie an psychischen Erkrankungen leiden, oder ihre Beschwerden nicht eindeutig einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen oder auf vermeintlich medizinisch umstrittene Krankheiten (z.B. Chronic Fatigue Syndrome, ICD-10 G93.3) zurückzuführen sind. Da das Gutachten entscheidend ist für die Leistungsentscheidung des Berufsunfähigkeitsversicherers, sollte ein besonderes Augenmerk vor allem auf die Wahl des Gutachters, aber auch auf den Ablauf der Begutachtung gelegt werden.
Mitwirkung des Versicherungsnehmers an der Leistungsprüfung
An der Leistungsprüfung einschließlich der Begutachtung hast Du grundsätzlich mitzuwirken – sofern das Mitwirkungsverlangen des Versicherers rechtmäßig ist. Einem rechtswidrigen Mitwirkungsverlangen musst Du selbstverständlich nicht nachkommen.
Schritt 3: Die Leistungsentscheidung
Konnte der Versicherer dank Deiner Mitwirkung alle notwendigen Erhebungen zur Feststellung seiner Leistungspflicht anstellen, hat er binnen zwei bis vier Wochen eine Leistungsentscheidung in Form eines Anerkenntnisses oder einer Ablehnung zu treffen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen darf der Versicherer sein Anerkenntnis befristen oder mit einer sogenannten Nachprüfungsentscheidung verbinden („uno actu“). In beiden Fällen erhältst Du die Versicherungsleistungen nur für einen begrenzten Zeitraum.
Anstatt über seine Leistungspflicht verbindlich zu entscheiden, bietet der Versicherer manchmal eine Kulanzzahlung oder eine Regulierungs- bzw. Abfindungsvereinbarung (Vergleich) an. Solche Abreden unterliegen ebenfalls strengen Anforderungen und sollten vorab rechtlich geprüft werden.
Generell lohnt sich eine Überprüfung der Leistungsentscheidung, sofern der Versicherer kein unbefristetes und vollständiges Anerkenntnis abgibt. Die Sach- und Rechtslage in BU-Fällen ist meist komplex und auch der Sachbearbeiter des Versicherers nicht vor Fehlern gefeit.
Hilfe beim Leistungsantrag
Fehler und Fehlentscheidungen lassen sich oftmals verhindern, wenn der Versicherte sich schon bei der Leistungsanmeldung und beim Ausfüllen der Anträge unterstützen lässt. Eine BU-Expertin bzw. ein BU-Experte weiß genau, worauf es in der Leistungsprüfung ankommt und welche Informationen der Versicherer benötigt, um schnellstmöglich eine (positive) Leistungsentscheidung treffen zu können. Professionelle Unterstützung führt aber nicht nur zu einer Beschleunigung der Prüfung und verbesserten Erfolgschancen, sondern auch zu einer Entlastung des erkrankten Versicherungsnehmers. Bereits deshalb lohnt es sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Nachprüfung – ein anderes Thema
Mit der Entscheidung des Versicherers ist die Leistungsprüfung (sog. Erstprüfung) abgeschlossen. Bei positiver Entscheidung zahlt die Versicherungsgesellschaft die versprochene Berufsunfähigkeitsrente. Der Berufsunfähigkeitsversicherer hat aber das Recht zur Nachprüfung. Er darf regelmäßig überprüfen, ob sich die Umstände, die zu seinem Anerkenntnis geführt haben, verändert haben und er noch zur Leistung verpflichtet ist. Theoretisch kann das Nachprüfungsverfahren einmal jährlich durchgeführt werden. Tatsächlich ist das jedoch nicht die Regel. Stellt er in der Nachprüfung fest, dass die Berufsunfähigkeit entfallen ist, stellt er seine Leistungen ein. Wichtig: Die Leistungen enden nicht automatisch. Benötigt wird immer eine wirksame Einstellungsmitteilung. An sie sind strenge Anforderungen geknüpft, die Versicherer nicht immer erfüllen. Deshalb sollte auch in der Nachprüfung eine BU-Expertin oder einen BU-Experten zu Rate gezogen werden.
Über die Autorinnen:
Als hochspezialisierte Fachanwältinnen für Versicherungsrecht begleiten Katrin Link und Susanne Aydinlar Versicherte schon seit vielen Jahren erfolgreich auf dem Weg zur Berentung aus der BU-Versicherung. Mit der BU-Hilfe.de haben sie im April 2022 die erste und bislang einzige Rechtsanwaltskanzlei Deutschlands, die sich ausschließlich dem Recht der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung verschrieben hat, gegründet. Gemeinsam unterstützen sie bundesweit berufsunfähige Versicherte bei der Beantragung, Durchsetzung und Sicherung ihrer Rentenansprüche – vom Leistungsantrag bis zum Gerichtsverfahren in letzter Instanz. Weitere Informationen erhältst Du auf https://www.bu-hilfe.de/
Foto: @ https://fotos-berlin.net/